Ein kurzer Blick auf die Verheissungen des Metaverse.
Wie vertraut die Geschichte nach dem nächsten grossen «Ding» klingt. Das Metaverse überzieht wie Morgentau unser Verständnis von Wirklichkeit und Wichtigkeit. Das emotionale und ökonomische Bindungspotenzial, das dem Hype innewohnt, wirkt schnell und invasiv. Dieser Beitrag wirft ein Scheinwerferlicht auf die Verheissungen der digitalen Parallelwelt, ohne der Tragweite gerecht werden zu können. Dass die Beurteilung kritisch ausfällt, ist auch folgenden Aspekten geschuldet:
Das «Ding» wird von einem Konzern und einer Industrie getrieben, deren Motive die Logik einer konsum- und profilierungssüchtigen Marktgesellschaft bedient.
Die Idee ist Ausdruck einer resignativen Utopielosigkeit, wo der Zweck dem «Mehr vom selben» folgt und der Drang nach Individualität im digitalen Ich endet.
Die Distanzierung von der Leiblichkeit katapultiert uns in den virtuellen Raum der Begehrnisse und Möglichkeiten, ohne rechtliche oder soziale Auffangbecken.
Das Reale bleibt die einzige Referenz beim sinnvollen Tun. Der Sehnsuchtsort als Kopie des Jetzt beerdigt das Potenzial des Eskapismus gleich zu Beginn.
Wenn uns Mark Zuckerberg weis machen will, das grosse Ding in den Startlöchern zu haben, dann ist das die potente Geschichte um Möglichkeiten und Investoren-Fantasien. Und es ist womöglich der Versuch, neue Spielwiesen zu schaffen, weil auf den alten ökonomische und politische Tretminen drohen. Dass das Metaverse in den Kinderschuhen steckt, weil zentrale Technologien und infrastrukturelle Voraussetzungen noch für Jahre fehlen, ist eine Tatsache. Das Argument ist trotzdem kraftlos, weil sich dafür Lösungen finden werden. Doch Hysterie und Tech-Träumerei binden regelmässig immense Investoren-Mittel und absorbieren kluge Köpfe, die wirkungsvoller in Herausforderungen unserer Zeit investiert würden. Als Fluchtpunkt in der Perspektive für eine bessere Zukunft taugt das Metaverse kaum, weil es aktuelle Geschichte bloss fortsetzt, statt sie neu schreibt.
Die Hybris der Meta-Visionäre zielt auf Skalierug. Damit macht die Metaverse-Geschichte mit ihren Verheissungen schnell Karriere. Nervöse Vorstände befassen sich mit dem Surrealen und Verantwortliche in Konzernen sichern sich schon mal virtuelles Land. Die Verlautbarungen um das «Ding» entspringen einem kollektiven Rausch aus Opportunismus und Gier, die uns vernebeln und zudröhnen. Der Tech-Tripp nährt sich aus Fantasie- und Hoffnungslosigkeit und dem bequemen Glauben, dass es schon gut kommt. Nur verliert die Vision schon nach kurzem Nachdenken jegliche Kraft – auch weil sie wohl kein einziges der dringlichen Probleme löst. Im Gegenteil: Als weitere Entmündigung von Bürger:innen schafft sie über die Hintertür neue Verbindlichkeiten und «rechtsfreie» Tummelfelder, um Konsum und Teilnahme (sowie Ausschluss) auf ein nächstes Level zu hieven. Der mittlerweile pervertierte Zeitgeist der Individualität findet seinen Höhepunkt. Konzern-gesteuerte Algorithmen und Spielregeln als DNA des Parallel-Ichs. Prost! Die Sphäre der potenzielle Eingriffstiefe im Autonomie-Verständnis erreicht ungeahnte Dimension. Mehr «Ich» und Begehren geht kaum.
Wenn Meta im «Verse» die Zukunft sieht, dann entkoppeln sie uns von der Leiblichkeit. Die Macher sehen es wohl als Befreiung vom Endlichen und Unperfekten. Als Übergang in eine verheissungsvolle Parallelwelt mit unbegrenztem Möglichkeitsraum. Menschen als Datensatz mit unendlich vielen «Begehrnissen», die gestillt werden wollen. Und weil das Reale nicht gut genug ist, muss sich das Parallele besser anfühlen, mehr bieten. Ein rechtsfreies Paradies mit Gutmenschen, quasi die Rückführung in den Naturzustand mit Vernunft geprägten Wesen... Schön wärs. Wer verantwortet das «Unschöne» im Schönen, das sich ebenso real anfühlen soll? Die Antwort der Techvisionäre wird eine technische und unverbindliche sein. Keine, die Verantwortung oder sozialen Weitblick widerspiegelt. Wolf Lotter hat im Kontext der Wissensgesellschaft einmal festgehalten: (...) Soziale Sicherheit ist nicht das Ergebnis von erfolgreicher Ökonomie und gedeihlichem Zusammenleben, von Emanzipation und Fortschritt, sondern deren Voraussetzungen. Und das trifft auch hier zu. Wer bloss in Ergebnissen denkt, versteht das grosse Ganze mit seinen Implikationen nicht.
Die Referenz fürs Gute liegt heute und morgen im Realen. In Handlungen, die wir als Subjekte, Bürgerin und Bürger tun, um in einer komplexen Welt wirksame Antworten auf Herausforderungen unserer Zeit zu geben. Kurz: Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es. Im Gegensatz zum Metaverse ist der Treibstoff der Wirklichkeit unser Dasein. Dazu gehören Gutes und Schlechtes, Bedürfnisse und auch Begehren und Sehnsüchte. Sie haben dennoch in der Dringlichkeit wenig mit der Meta-Zauberwelt zu tun, die ohne Energie und Daten inexistent wird. Meta forciert einen Eskapismus aus dem Realen, weil die Bequemlichkeit des Seins endgültig seine Unschuld verloren hat. Der Sehnsuchtsort Meta als Rettung des Realen. Wir wissen, dass wir einen neuen Plan brauchen. Wir schulden dem Metaverse und seinen Vordenkern nichts. Ausser kreativen Widerstand um eine Vision, wie wir mit der Technologie Sinnvolles anstellen.
Welches sind Grundlagen einer neuen Utopie, eines neuen Plans? Diese Bausteine könnten helfen, dass ein Gelingen möglich wird. Wir brauchen...
reale Menschen, Bürgerinnen und Bürger und ihre Zeit;
Realismus, eine in zentralen Teilen gleich beurteilte Realität als Ausgangslage, dass gemeinsame Herausforderungen als notwendige und geteilte Handlungsräume verstanden werden können;
Diskurs über eine erwünschte Zukunft unter Berücksichtigung der Potenziale und Möglichkeiten. Ein Gefühl, was Lebensqualität ist und was sie ausmacht;
Selbstverpflichtung, die nicht auf Vorhersagen über die Wünsche künftiger Generationen basiert, sondern auf den Handlungen und der Selbstverpflichtung der lebenden Generation mit Rücksicht auf künftige Generationen;
Emanzipation vom Gedanken, dass gesellschaftlicher Fortschritt von Unternehmen kommt. In meinem Verständnis steht Fortschritt für Entwicklungen, Bedingungen und Verhalten, die zum Guten einer Gesellschaft beitragen;
Geschichten, die wir rückwärts zu schreiben beginnen, befreit von den Narrativen unserer Zeit, angereichert mit ganz viel Fantasie und «Wir»;
Wirkung, das geht nur darüber, dass die Zukunftsentwürfe für viele Menschen attraktiv und plausibel sind;
das einfache Tun, das sich Schritt für Schritt auf ein neues Gemeinwohl hinbewegt.
Wir schliessen mit dem drastischen Bild von Jia Tolentino aus «Trick Mirror»: «(...) das Internet ist bereits, was es ist. Es ist schon zum wichtigsten Organ des zeitgenössischen Lebens geworden. Es hat die Gehirne seiner Nutzer*innen längst neu verdrahtet und uns in einen Zustand primitiver Überwahrnehmung und Ablenkung zurückversetzt, während es uns zugleich mit Sinneseindrücken bombardiert, als in primitiven Zeiten jemals möglich gewesen wäre.» Zünden wir bei dieser verheissungsvollen Analyse die nächste Stufe! Es kommt schon gut.
Mai 2022, Christoph Wey
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